Mittwoch, 7. Juni 2006

Schülerproteste

07.06.06
Chiles Schüler proben den Aufstand
Erstes Angebot der Präsidentin Bachelet findet keine Zustimmung

Von Felix Pithan, Santiago de Chile

Die Proteste der chilenischen Schüler nehmen kein Ende. Daran konnte auch das Angebot der chilenischen Präsidentin Michelle Bachelet nichts ändern.
»Bildung ist ein Recht – keine Ware!« Solche Plakate zieren momentan einen Großteil der Oberstufenschulen in Chile. Seit Wochen demonstrieren Schüler für die Abschaffung der Gebühren auf die Abschlussprüfung, für kostenlose Schülerausweise und eine Übernahme der Fahrtkosten zur Schule. Außerdem fordern sie eine Überarbeitung des in den 90er Jahren eingeführten Ganztagsschulsystems sowie des Verfassungsgesetzes zur Bildung, des letzten Gesetzes der Pinochet-Diktatur (1973-1990). Dieses Gesetz ist die Grundlage für die weit verbreiteten Privatschulen, in denen Kinder aus den oberen Schichten im Gegensatz zu den extrem schlecht ausgestatteten öffentlichen Ganztagsschulen eine qualifizierte Ausbildung erhalten. Die Ausstattung nicht das Prinzip Ganztagsschule steht in der Kritik.
Noch in der vorletzten Woche weigerte sich die Regierung, mit den Schülern zu verhandeln, solange diese ihre Aktionen nicht beendeten. Die wachsende Mobilisierung und erste Schulbesetzungen in der Hauptstadt Santiago zwangen sie dann am Montag an den Verhandlungstisch, wo jedoch keine Einigung zustande kam.
Da der Staatshaushalt derzeit aufgrund der hohen Kupferpreise einen deutlichen Überschuss aufweist, fällt es der Regierung schwer, die Forderungen der Schüler als nicht finanzierbar darzustellen. Inzwischen bietet sie an, die Abschlussprüfung für die ärmsten 60 Prozent der Schüler zu finanzieren, kostenlose Schülerausweise bereitzustellen und die Reform des Verfassungsgesetzes zur Bildung anzugehen.
Mit diesen Zugeständnissen gaben sich die Schüler nicht zufrieden, weshalb sie am Montag mit der Unterstützung von Studierenden und Lehrern zum landesweiten Streik aufriefen, an dem etwa eine Million Schüler und Studierende teilnahmen. So wollen sie die Übernahme der Schulfahrten wenigstens für die ärmeren Schüler durchsetzen und verbindliche Zusagen über ihre Beteiligung an der Bildungsreform erhalten.
Der Aktionstag wurde von über 100 Organisationen unterstützt, dem Aufruf zum Streik folgten aber außerhalb des Bildungssektors nur wenige Beschäftigte. Der Aktionstag verlief nicht reibungslos. In Santiago, Valparaíso und Concepción wurden mehr als 280 Menschen festgenommen, in der Hauptstadt darüber hinaus rund 100 Menschen verletzt.
Viele Studierende unterstützen die Aktionen der Schüler, eine Reihe von Universitäten ist ebenfalls in den Streik getreten. Auch Elternvertreter und Lehrer schließen sich öffentlich den Forderungen an und unterstützen die Aktionen in den Schulen. Selbst privilegierte Privatschulen haben sich dem Streik angeschlossen oder solidarisieren sich mit den Protesten.
Präsidentin Michelle Bachelet, die erst seit drei Monaten im Amt ist und der ersten größeren Regierungskrise gegenübersteht, sagte eine Reform zu. »Ich werde dem Kongress einen Gesetzesentwurf zukommen lassen, um die Verfassung zu reformieren und das Recht aller Bürger auf gute Bildung zu bestätigen«, erklärte Bachelet. Die Schüler hätten ihre Forderungen deutlich gemacht, und sie halte dies für »gerecht und rechtmäßig«. Für die fortgesetzten Demonstrationen bringt sie deshalb kein Verständnis auf.
Nicht wenige der Proteste der Schüler werden in Santiago wie in den Provinzen immer wieder mit Wasserwerfern und Tränengas aufgelöst. Nachdem die chilenische Presse in den ersten Wochen meist von »vermummten Chaoten« sprach, denen die Polizei entgegentreten müsste, änderte sich vor rund einer Woche die Berichterstattung: Bei einem besonders brutalen Einsatz einer Sondereinheit in Santiago wurden nicht nur gewaltfrei Demonstrierende vor laufenden Kameras an der Haaren über die Straße gezogen, auch mehrere Reporter wurden von Polizisten niedergeschlagen oder gezielt mit Tränengas angegriffen. Unter dem Druck der öffentlichen Meinung wurden nun der Kommandant der Sondereinheiten und sein Stellvertreter abgesetzt, acht weitere Polizisten vorläufig suspendiert. Ein Achtungserfolg für die Schüler, deren Koordination gestern abend über den weiteren Fortgang der Aktionen befinden wollte.

http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=91594&IDC=2

Kleines Update zum Artikel: Gestern wurde der Streik erst einmal verlängert, umstritten ist noch die Beteiligung der Schüler an der Kommission, die Reformen im Bildungssystem ausarbeitet.

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